Und das ist der Grund, warum wir in Deutschland mit der Digitalisierung hinterherhinken
Das Deutschlandticket wird teurer – von derzeit 49 € steigt es ab 1. Januar 2025 auf 58 €. Und Preiserhöhungen müssen in Deutschland vom Kunden aktiv zugestimmt werden; ein „Schweigen erkennen wir als Zustimmung an“ gilt nicht. Diese Preiserhöhung ist auf unserem firmeneigenem „Facebook“ behandelt worden und auch die Notwendigkeit der Zustimmung. Da war es natürlich nicht verwunderlich, dass schon der zweite Kommentar unter dem Post eine Plastikkarte für das über den DB-Navigator abgeschlossenen Deutschlandticket fordert.
Eines vorweg: Es gibt sicher richtig gute Gründe, warum ein Deutschlandticket auch analog ausgegeben werden können sollte. Denke ich nur an meine Oma, die damals gerade so mit einem Handy umgehen konnte, wäre ein Deutschlandticket in Digitalform undenkbar gewesen. Es gibt also meiner Meinung nach durchaus Personengruppen, vor denen die Digitalisierung Halt machen darf und muss, um jene nicht auszugrenzen.
Aber …
Im ersten Absatz sprach ich von einem Kommentar, welcher abgegeben wurde und im Grunde auch der Anstoß für diesen Eintrag hier ist. Darunter wurde ebenfalls fleißig kommentiert und eine Person gab fünf Gründe an, weshalb eine Plastikkarte sinnvoller ist, als ein QR-Code. Da diese Konversation nicht öffentlich zugänglich ist, werde ich sie hier nur in den wesentlichen Punkten wiedergeben, aber nicht zitieren und erst recht nicht als Screenshot oder dergleichen abbilden (ich bitte um Verständnis, ich hänge an meinem Job).
Also, warum sollten wir der Digitalisierung in unserem Land einen Knüppel zwischen die Beine werfen?
Stichwort Platz: Eine Chipkarte nimmt deutlich weniger Platz in der (Hosen-)Tasche ein als ein Smartphone.
Das mag stimmen. Mein Smartphone (zugegeben, es ist auch noch das größte vom Hersteller angebotene Gerät auf dem Markt) ist ganze 0,83 cm dick, riesenhafte 15,99 cm hoch und 7,67 cm breit. Und dann erst das Gewicht: Mit fast adipös wirkenden 221 Gramm zieht es mir schon fast die Hose aus, wenn ich keinen Gürtel tragen würde.
Aber Scherz beiseite: Ich habe immer mein Smartphone dabei, egal wohin ich gehe und ich bin sicher nicht der einzige, dem das Gerät oft sogar auf die Toilette folgt (und manche Sitzungen unnötig in die Länge zieht). Meine Brieftasche habe ich dagegen nie bei mir, warum denn auch? Ich habe alle Bezahlkarten in meinem Smartphone, mittlerweile sind sogar Personalausweis und Führerschein digitalisiert. Mit Bargeld zahle ich nur in den äußersten Notfällen (zum Beispiel bei meinem Lieblingsimbiss um die Ecke, welcher zwar auch schon Kartenzahlungen nimmt, aber erst ab einem Betrag von 10 €).
Ja, eine Plastikkarte nimmt weniger Platz weg, das mag stimmen. Aber wenn ich das Deutschlandticket unbedingt in analoger Form oder als Plastikkarte haben will, damit ich mein Smartphone auch mal Zuhause lassen kann, brauche ich auch mein Personalausweis. Und etwas Geld wäre auch nicht schlecht, also wäre auch eine Girokarte oder Kreditkarte ganz gut (oder beides, weil man die PIN von einer sicher vergessen hat). Schon hat man sein Portemonnaie in der Hosentasche und seine Armbanduhr am Handgelenk.
Stichwort Zuverlässigkeit: Geht die Chipkarte kaputt, ist der Herausgeber dafür verantwortlich, mir eine neue auszustellen. Beim Smartphone und der App bin ich jedoch in der Verantwortung, dass alles funktioniert.
Den Punkt sehe ich nicht ganz wie der Kommentarschreiber. Es stimmt natürlich, dass der Herausgeber für die Chipkarte verantwortlich ist und mir eine neue ausstellen muss, wenn die alte nicht mehr funktioniert. Genauso ist er aber auch für die App verantwortlich. Wenn diese nicht mehr wie gewohnt funktioniert, dann muss der Anbieter sie mittels Update wieder funktionsfähig bekommen.
Anders sieht es natürlich beim Smartphone aus. Ist der Akku leer und es gibt keine Möglichkeit, das Gerät zu laden (was ich nur in der Berliner S-Bahn zählen lassen würde, die es auch in der neusten Baureihe nicht geschafft haben, USB Ports oder Steckdosen zu verbauen), dann hat man einfach Pech gehabt. Genauso, wenn das Gerät fahrlässig behandelt und dabei Schäden davongetragen hat, welche nicht durch die Gewährleistung gedeckelt sind. In allen anderen Fällen kann man aber immerhin den Verkäufer zur Rechenschaft ziehen, mindestens ein Jahr nach Kauf des Geräts.
Stichwort Komfort: Das Ticket vorzuzeigen, ist deutlich einfacher, da ich es nicht entsperren oder erstmal eine App aufrufen muss.
Den Punkt finde ich besonders witzig. Hier lobt man einerseits die Einfachheit und den Komfort einer Chipkarte, geht aber Zuhause (vermutlich) noch zu einem an der Wand befindlichen Schalter, um das Licht ein-/auszuschalten. Vielleicht hätte ich es noch verstanden, wenn man den Kommentar 2010 geschrieben hätte, als das iPhone 4G noch nicht über TouchID verfügt hatte. Aber mittlerweile ist ein Smartphone so schnell entsperrt und eine App so schnell aufgerufen. Ich würde behaupten, dass ich mein Ticket auf dem Smartphone schneller aufgerufen habe, als jene Person die Chipkarte hervorgeholt hat, aus den Untiefen des Rucksacks, aus dem fünfzehnten Fach der Brieftasche, zwischen der dreißigsten Friseur-Stempelkarte und den fünfundfünfzig Rewe-Kassenbons.
Stichwort Diebstahl: Eine Chipkarte ist für Taschendiebe wesentlich uninteressanter, als ein Smartphone.
Auch den Punkt hätte ich vor 2013 noch verstanden, bevor Apple ihre Geräte mittels Aktivierungssperre für Taschendiebe uninteressanter gemacht hat (und Samsung und Google kurze Zeit später nachgezogen sind). Das soll nicht heißen, dass Smartphones generell nicht mehr gestohlen werden, aber statistisch gesehen gab es seit solcher Sperren eine Abnahme von Diebstahlfällen 1 (es gab zwischenzeitig sogar einen Anstieg von Diebstählen bei Samsung Smartphones, als das iPhone bereits einen „Kill Switch“ hatte, Samsung aber noch nicht 2).
Es mag also sein, dass eine Chipkarte für Taschendiebe uninteressanter ist als ein Smartphone. Eine Brieftasche, welche keine Aktivierungssperre besitzt und in vielen Fällen mit Bargeld, Chipkarten und Ausweis gespickt ist, dagegen schon eher.
Stichwort Datenschutz: Die Chipkarte ist nicht an einen ausländischen Datenkraken-Knebelvertrag vorausgesetzt.
Ob der Kommentarschreiber weiß, dass er bei Abschließen des Deutschlandtickets dem Herausgeber die Zustimmung gibt, den Kunden durch die Auskunftei „Schufa“ zu jagen, Deutschlands ganz eigene Datenkrake?
Ja, ich bin mit der Sammelwut von Google, Meta und Co. auch nicht einverstanden und versuche viele dieser Dienste zu meiden. Aber wenigstens haben sie keinen Einfluss darauf, ob ich für meinen Hauskauf einen Kredit bei meiner Bank bekomme.
Ergänzungen
Aus nachvollziehbaren Gründen ist der Kommentarschreiber nicht auf diese Punkte eingegangen, deshalb übernehme ich das mal an dieser Stelle:
Umwelt: Wir müssen auf Plastikstrohhalme verzichten, bekommen bei McDonalds Holzlöffel zum McFlurry und unser Wocheneinkauf reißt durch die Papiertüte. Nicht falsch verstehen: Ich finde es großartig, wenn wir auf weniger Plastik setzen, besonders wenn man einen Blick gen Fernost wagt, wo Plastik-Produkte in Plastik eingeschweißt und zusätzlich in Styropor eingepackt werden, um dann den Deckel unserer gelben Tonne zu blockieren. Aber der Schrei nach Plastikkarten, welche nach der Benutzung wertlos sind (und ein Deutschlandticket kann – das sollte nicht vergessen werden – monatlich gekündigt werden), führt diese Umweltbemühungen ad absurdum.
Kosten: Auch wenn wir als Kunden zunächst nichts davon haben, hätten wir uns vielleicht die künftige Preiserhöhung sparen können (oder sie wäre zumindest weniger hoch ausgefallen). Ein digitales Ticket kostet dem Betreiber bis auf die Entwicklung und Instandhaltung der App sowie der Cloud-Infrastruktur nichts, für die Karten muss allerdings Ressource und eine Firma, welche die Karten herstellt und mit den Daten des Tickets bespielt, bezahlt werden.
Was lernen wir daraus?
Wie schon anfangs erwähnt, gibt es sehr gute Gründe, um gewisse Dinge immer noch in analoger Form anzubieten. Ein Deutschlandticket sollte auch von einer 80-jährigen Person einfach zu bekommen und zu benutzen sein. Aber der in diesem Beitrag behandelte Kommentarschreiber ist ein gutes Beispiel, warum wir in Deutschland digital immer noch so sehr nachhinken. Wieso unsere Bürokratie mit Software arbeitet, die aus dem letzten Jahrtausend stammt, wenn sie es denn überhaupt tut. Warum wir bei Tante Emma immer noch schief angeguckt werden, wenn wir nachfragen, ob wir unseren Wocheneinkauf mit Karte zahlen können. Weshalb die durchschnittlich zur Verfügung stehende Download-Rate im internationalen Vergleich immer noch derart katastrophal abschneidet 3.
Ich möchte natürlich auch keine chinesischen Verhältnisse, wo alle alltäglichen Dinge über eine „Super-App“ geregelt werden. Aber ich möchte in einem Land leben, in dem es normal ist, dass ich meinen Personalausweis online verlängern kann, dass ich mein Brötchen an der Ecke mit NFC zahlen kann, dass ich mein ÖPNV-Ticket mit meiner Smartwatch vorzeigen kann, dass ich Zuhause ein Spiel aus dem PSN Store laden und mir dann nicht erstmal noch Mittag kochen kann, weil der Download zwei Stunden dauert.
Einer Plastikkarte weniger in meiner Brieftasche weine ich jedenfalls nicht hinterher.
- Quelle: phonearena.com ↩︎
- Quelle: gottabemobile.com ↩︎
- Quelle: statista.com ↩︎